Generative KI verändert die Arbeitswelt – doch unbemerkt vollzieht sich eine noch tiefere Transformation. Während Unternehmen über Future Skills debattieren, eignen sich Arbeitnehmende neue Fähigkeiten längst eigenständig an. Was bedeutet das für die Zukunft von Arbeit und Führung?

In den Büros findet eine technologische Revolution statt. Studien zufolge hat generative KI das Potenzial, zwei Drittel aller Schweizer Arbeitsplätze produktiver zu machen und damit das Bruttoinlandprodukt um 11 Prozent zu steigern*. Fast die Hälfte der Arbeitnehmenden nutzt bereits KI, aber nur jedes zehnte KMU setzt sie systematisch ein. Interessant ist auch der Umgang mit KI im Arbeitsalltag: Sieben von zehn Beschäftigten sehen die neue Technologie als Karriere-Booster, doch jeder Zweite verschweigt den eigenen KI-Gebrauch den Vorgesetzten. Noch bemerkenswerter ist, dass KI-Tools oft problemlos genutzt werden, obwohl 75 Prozent der Unternehmen keine entsprechenden Schulungen anbieten. Diese Entwicklung zeigt: Die Arbeitswelt verändert sich nicht nur durch technologische Fortschritte, sondern auch durch den eigenständigen Kompetenzaufbau der Beschäftigten.

Future Skills – ein alter Begriff mit neuer Relevanz.

In diesem Kontext taucht immer wieder ein Begriff auf: Future Skills. Gemeint ist ein Bündel an technologischen, kognitiven, emotionalen und interpersonalen Kompetenzen, die uns fit für die Zukunft machen sollen ‒ darunter analytisches Denken, Kreativität, Resilienz und Flexibilität. Dabei ist das Konzept keineswegs neu. Schon in den 1970er-Jahren wurde unter dem Begriff der «Schlüsselqualifikationen» über zukunftsrelevante Fähigkeiten diskutiert. Doch was genau Future Skills sind, ist umstritten. Kritiker:innen bemängeln die Vagheit des Begriffs und warnen davor, klassische Bildungsinhalte zu vernachlässigen. Befürworter:innen hingegen sehen darin eine notwendige Anpassung an die sich rapide wandelnde Arbeitswelt.

Das breite Spektrum der Future Skills.

Studien zeigen, dass Future Skills weit mehr umfassen als nur technologische Fähigkeiten. Sie lassen sich grob in drei Kategorien einteilen:
Technologische Skills – etwa KI-Kompetenz und Data Fluency
Kognitive Skills – darunter kritisches Denken und die Fähigkeit, komplexe Probleme zu lösen
Sozial-emotionale Skills – wie Empathie, effektive Kommunikation und Resilienz
Angesichts der globalen Herausforderungen rücken zudem Green Skills in den Fokus ‒ also Kompetenzen im Bereich Nachhaltigkeit und Transformation.

Führung als Future Skill.

Spannend ist auch, wie sich Future Skills im Bereich Führung widerspiegeln. Fachliche Exzellenz allein reicht heute nicht mehr. Führungskräfte müssen sich in einem dynamischen Umfeld bewegen, ihr Team durch Unsicherheiten navigieren, selbst adaptiv und resilient bleiben, fachliche Kompetenz mit digitalem Know-how und emotionaler Intelligenz verbinden und eine Kultur der Kreativität und Diversität fördern. Kann eine einzelne Person all diese Anforderungen überhaupt erfüllen? Die Antwort liegt in einem Paradigmenwechsel: Führung wird zunehmend als kollektiver, fluider Prozess verstanden. Konzepte wie verteilte, adaptive oder dienende Führung setzen auf die Kraft des Teams anstelle einer allwissenden Einzelperson. Führung ist somit weniger eine Position, sondern eine gemeinsam gestaltete Praxis.

Fazit: Zukunft aktiv gestalten.

Future Skills sind also weniger eine abschliessende Liste von Fähigkeiten und Fertigkeiten, sondern vielmehr eine Haltung. Sie beinhaltet Offenheit für Veränderung, die Bereitschaft zur Zusammenarbeit und ein tiefes Verständnis für die Komplexität der Welt. Die stille KI-Skill-Revolution in den Schweizer Büros zeigt: Wir eignen uns gerne und eigenständig jene Fähigkeiten an, die wir als sinnvoll und förderlich empfinden. Unternehmen tun gut daran, diesen natürlichen Lernprozess ihrer Mitarbeitenden zu unterstützen.

*«Das wirtschaftliche Potential von KI für die Schweiz» in «Capturing the next wave of benefits from generative KI». Eine Implement Consulting Studie im Auftrag von Google Schweiz (August 2024).

Autorin:

ANDREA BELLIGER ist Professorin, Autorin und Verwaltungsrätin in verschiedenen Schweizer und internationalen Unternehmen. Sie beschäftigt sich mit dem Thema der Digitalen Transformation in unterschiedlichen Branchen von Gesundheit bis Finanzen, von Bau bis Bildung.