Bestehen E-Mails mit ChatGPT den Praxistest? Im stressigen Büroalltag klingt es sehr verlockend, das Verfassen von E-Mails an KI-Tools wie ChatGPT zu übertragen. Doch: Wie gut sind KI-generierte E-Mails? Korrespondenz-Expertin Andrea Kern macht den Praxistest.

Nehmen wir einmal an, wir arbeiten bei einem Anbieter für Büromöbel und erhalten eine Anfrage aus einem KMU für 10 Stehpulte. Für die Begleit-E-Mail zum Angebot nutzen wir ChatGPT. Dabei erwähnen wir im Prompt, dass die E-Mail auch die Vorteile der Stehpulte mit massiver Eichenholzplatte hervorheben soll.

ChatGPT verfasst daraufhin diese Begleit-E-Mail:

Die KI ChatGPT schreibt auf Anfrage ein E-Mail.

Auf den ersten Blick sieht die Begleit-E-Mail zum Angebot ganz passabel aus. Alle wichtigen Informationen sind enthalten, die E-Mail weist eine gute Struktur auf und die Vorteile sind visuell hervorgehoben. Prüfen wir hingegen den Text auf die aktuell gültigen Korrespondenzgrundsätze, fällt auf:

Deutsche statt Schweizer Orthografie

ChatGPT bedient sich automatisch der deutschen Orthografie. So setzt er nach der Anrede ein Komma und fährt danach klein weiter, was in der Schweiz als falsch gilt. Zudem verwendet er das Eszett bei Wörtern wie «Grössen» oder «Grüssen».

Wir-Stil statt Sie-Stil

In der modernen Korrespondenz ist es ein No-Go, eine E-Mail mit «Wir» oder «Ich» anzufangen. Zudem sollte der Text viel mehr die lesende Person ansprechen.  

Nicht auf Augenhöhe

Moderne Korrespondenz erfolgt grundsätzlich auf Augenhöhe. Und auch wenn wir in der Schweiz die Anrede «Sehr geehrte Frau Klein» immer noch häufig antreffen: Zusammen mit dem Modalverb «dürfen» im ersten Satz wirkt diese E-Mail etwas unterwürfig.   

Floskeln

ChatGPT bedient sich mit «Bei Fragen stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung» einer der häufigsten Floskeln. Ausserdem schreibt er bei der Grussformel «Mit freundlichen Grüssen», was in der Schweiz schon lange als veraltet gilt.

Unschöne Wiederholungen

Der erste Satz wie auch der letzte Absatz vor der Grussformel starten mit «Wir freuen uns, Ihnen unser Angebot für …». Diese Form der Wiederholung ist nicht empfehlenswert. Auch werden die Adjektive «hochwertig», «stilvoll» und «ergonomisch» in der kurzen E-Mail gleich mehrmals eingesetzt.

Vorteile zu wenig aussagekräftig

ChatGPT hat zwar einige Vorteile aufgeführt, diese wirken jedoch generisch und austauschbar.

Kommafehler

Nach der Grussformel folgt nie ein Komma. Generell empfiehlt es sich, die Schreibweise von ChatGPT zu überprüfen.

Und wie lässt sich der Text von ChatGPT verbessern? Als Vergleich folgt hier eine Version, wie ich sie als Texterin und Korrespondenz-Trainerin verfassen würde:

Ergebnis des Praxistests

Anhand des Praxistests lässt sich erkennen: ChatGPT kennt sich mit den Schreibgrundsätzen der modernen Korrespondenz (noch) nicht aus. Daher sollte eine von ChatGPT verfasste E-Mail nicht einfach blind übernommen werden.

Gleichzeitig bietet der Text von ChatGPT eine wunderbare Grundlage für unsere Korrespondenz. Wir brauchen nicht auf einer «grünen Wiese» zu beginnen. Vielmehr können wir die Ideen von ChatGPT aufgreifen und an unsere Situation und unseren Schreibstil anpassen.

Zudem lassen sich durch ausgeklügelte Prompts mittlerweile recht ansprechende Ergebnisse erzielen. Insbesondere können wir in den «Custom Instructions» bei ChatGPT den gewünschten Schreibstil definieren, die Zielgruppe angeben und unser Geschäftsumfeld beschreiben.

Allerdings: Alle diese Einstellungen setzen ein grundlegendes Verständnis von ChatGPT und der modernen Korrespondenz voraus. Kennen wir die aktuell gültigen Schreibgrundsätze, können wir die Qualität eines KI-generierten E-Mails rasch beurteilen. Zudem fällt es leichter, die richtigen Stellschrauben für bessere Ergebnisse zu identifizieren.

Persönliches Fazit

ChatGPT kann im Büroalltag überaus nützlich sein. Ich selbst verwendet ChatGPT täglich. Allerdings nicht für vollständige Texte, sondern für neue Ideen, Synonyme oder Satzvarianten. Er ist für mich wie eine Art Assistent, dem ich Fragen stelle und der einen anderen Blick auf meinen Text wirft. Das ist mitunter sehr hilfreich.


Über die Autorin

Andrea Kern erklärt wie man KI für seine E-Mail-Korrespondenz brauchen kann.

Andrea Kern sorgt für frischen Wind in E-Mails, Briefen und Bewerbungen. Sie ist Schreib-Trainerin und Bewerbungscoachin – und schult Führungskräfte, Mitarbeitende und Privatpersonen in moderner Korrespondenz. Zudem ist sie Autorin des Kartensets «Moderne Korrespondenz» und des Buch-Duos «Frischer Wind für E-Mails und Briefe»: www.wortundstil.ch, www.textbox.ch


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Mehr zum Thema KI? Lesen Sie unsere Blogbeitrag «KI und deren Auswirkungen auf die Arbeitswelt».