Berufstätigkeit und Aufstiegsmöglichkeiten für Frauen sind wichtig. In unserer Leistungsgesellschaft haben sich diese emanzipatorischen Ziele allerdings für einige als Bumerang erwiesen.

«Wie emanzipatorisch ist die Forderung, dass sich Frauen jetzt auch am Arbeitsmarkt abrackern?» Diese ketzerische Frage stellt Franziska Schutzbach, Soziologin und Geschlechterforscherin, stellvertretend für viele Frauen und insbesondere Mütter. In ihrem Bestseller «Die Erschöpfung der Frauen, wider die weibliche Verfügbarkeit» untersucht Schutzbach dieses gesellschaftliche Phänomen und seine vielfältigen Ursachen. Die Autorin stellt klar, dass es sich nicht um ein individuelles Empfinden oder Selbstverschulden handelt, sondern um ein politisches, kulturelles und strukturelles Problem.

Aufruf zur Imperfektion

Es sind in erster Linie die Frauen, die sich um die alternden Eltern und Schwiegereltern kümmern und sich im Elternverein engagieren. Dazu kommen verinnerlichte und als selbstverständlich geltende Erwartungsbilder: Einen guten Job bei der Arbeit und in der Kindererziehung machen, den Haushalt im Griff haben und genug Zeit für Partnerschaft und Freundinnen aufbringen. Das gängige Narrativ «Frauen können alles erreichen» führt zu ständigem Perfektionsdruck: Frauen sollen (und müssen) alles erreichen. Dieser Druck, es allen recht machen zu müssen ‒ nur sich selbst nicht ‒, die Angst zu scheitern, das daraus resultierende permanente Schuldgefühl, führt unweigerlich zur Überforderung.

Sicher, Frauen treten vermehrt selbstbewusst und stark auf ‒ gleichzeitig betonen sie ihre Weiblichkeit mit Kleidung, Make-up und Bescheidenheit, um nicht als «Frau mit Haaren auf den Zähnen» wahrgenommen zu werden. Klingt das nach Befreiung und Gleichberechtigung? Das Buch von Schutzbach liest sich als Ausgangspunkt, um zu verstehen, aufzubegehren ‒ um zu verändern.

Erfahrungen teilen

Über Selbstzweifel, Überforderung, Ermüdung und andere diffuse Gefühlslagen äussern sich Frauen kaum. Aus Scham, aus Hilflosigkeit und weil viele die Erfahrung machen, auf Unverständnis zu stossen. Kulturhistorisch besetzten Frauen immer auch die Rolle der Unsichtbaren, welche für Harmonie, Glück und die emotionale Arbeit zuständig ist. Das macht es umso schwieriger, aus dem Hamsterrad der Ermüdung auszubrechen.

Systeme können erst dann verändert werden, wenn Erfahrungen geteilt werden. Daraus kann die Kraft für politisches Handeln geschöpft werden. Das Buch von Franziska Schutzbach leistet einen wichtigen Beitrag dazu. Es gilt diesen Ball aufzunehmen.

Frauen, wir müssen reden. Über unsere Rolle, unsere sichtbaren und weniger sichtbaren Tätigkeiten und deren Wert, über Erwartungshaltungen. Wir müssen reden. Mit unseren Partnern, unseren Familien, unseren Arbeitgeber:innen, Politiker:innen. Wir sind viele. Wir brauchen eine Revolution des gesellschaftlichen Zeitregimes.