Island machts vor. Jahrelang wurde die 4-Tage-Woche mit 35 Stunden getestet, nun hat die Mehrheit der arbeitenden Bevölkerung im kleinen Inselstaat ein Recht auf fünf Stunden kürzere Arbeitszeiten pro Woche – ohne Lohneinbusse. Hierzulande sind Firmen, die das 4-Tage-Modell leben noch sehr selten – doch es gibt sie. Kommt nun die 4-Tage-Woche auch in der Schweiz? Eine differenzierte Betrachtung.

Starten wir mit einer Begriffsklärung. Unter der «4-Tage-Woche» werden in der Schweiz verschiedene Arbeitsmodelle diskutiert: Das 80-Prozent-Pensum mit entsprechender Lohnreduktion, das 100-Prozent-Pensum verteilt auf vier Arbeitstage à (mindestens) zehn Stunden und das 80-Prozent-Pensum ohne Lohneinbusse. Werfen wir einen genaueren Blick auf die verschiedenen Modelle.

Modell #1: Weniger arbeiten, weniger Lohn

Ein 80-Prozent-Pensum mit entsprechender Lohnreduktion entspricht einer klassischen Teilzeitlösung, wie sie in der Schweiz weit verbreitet ist. Es bietet den Mitarbeitenden die Möglichkeit, Beruf und Privatleben besser in Einklang zu bringen. Gekoppelt mit dem Modell der Jahresarbeitszeit, bietet es auch für die Unternehmen einen grossen Spielraum in Bezug auf den flexiblen Einsatz der Mitarbeitenden. Solche Modelle haben den Vorteil, dass Mitarbeitende eine niedrigere Fluktuation und weniger Fehltage aufweisen und zudem produktiver sind. Auf der anderen Seite gilt es zu bedenken, dass Teilzeitarbeitende generell ‒ und damit auch Mitarbeitende in einem solchen 4-Tage-Modell ‒ neben einer Lohneinbusse auch Einbussen in der Altersvorsorge tragen. Für Personen mit tieferen Einkommen kommt ein solches Modell daher oft nicht in Frage.

Modell #2: Gleichviel arbeiten in weniger Tagen

Bei einer komprimierten Arbeitswoche bestehend aus vier Arbeitstagen mit mindestens zehn Stunden ‒ was einem 100-Prozent-Pensum entspricht ‒ lässt sich berechtigterweise einwenden, dass sich wohl kaum die erhoffte verstärkte Produktivität und Zufriedenheit bei den Mitarbeitenden einstellt. Wird im Rahmen eines solchen Modells eine physische Büroanwesenheit der Mitarbeitenden verlangt, so hätte dies zur Folge, dass die Tage je nach Dauer des Arbeitsweges bis zu zwölf Stunden lang würden. Das stellt insbesondere Mitarbeitende mit Betreuungspflichten vor grosse Herausforderungen und kann sich negativ auf die Gesundheit der Betroffenen auswirken. Ab acht Arbeitsstunden pro Tag steigt gemäss Studien die Fehlerquote (stark) an. Bei einem solchen Modell besteht das Risiko, dass die gesetzlich vorgeschriebene wöchentliche Höchstarbeitszeit schnell überschritten wird ‒ insbesondere in Zeiten, in denen viel Arbeit anfällt und somit Mehrstunden geleistet werden müssen. Damit läuft die komprimierte Arbeitswoche Zielen wie Produktivität und Zufriedenheit so wie der Vereinbarkeit von Beruf und Familie entgegen. Auf politischer Ebene kann sie zudem als Vorwand benutzt werden, um die weitere Flexibilisierung der Arbeitszeit und die Aufweichung des Arbeitnehmerschutzes voranzutreiben.

Einige Firmen argumentieren, dass die Einführung flexibler Arbeitszeiten über die gesamte Woche verteilt viel wichtiger sei als die Reduktion der Arbeitstage von beispielsweise fünf auf vier. Denn flexible Arbeitszeiten würden für die Mitarbeitenden die grösste Freiheit in Bezug auf die Work-Life-Balance bedeuten. Die Kehrseite dieser Flexibilisierung sieht allerdings so aus, dass Mitarbeitende einem Unternehmen faktisch ununterbrochen zur Verfügung stehen.

Dies gilt es kritisch zu betrachten: Es stellt sich die Frage, ob es der Erholung und der Gesundheit tatsächlich dient, wenn die Jahresarbeitszeit bei einer 40- oder 42-Stunden- Woche entsprechend flexibilisiert wird. Vor allem Mitarbeitende mit Betreuungspflichten könnten vor grosse Probleme gestellt werden, wenn die flexibilisierten Arbeitszeiten, insbesondere solche am späten Abend oder am Wochenende, sich mit den geplanten oder ungeplanten Familien- und/oder Betreuungszeiten überschneiden. Von effektiver Work-Life-Balance kann nur dann gesprochen werden, wenn die Jahresarbeitszeit tatsächlich im Rahmen einer 4-Tage-Woche mit einem 80-Prozent-Pensum eingeführt würde.

Modell #3: Weniger arbeiten, gleicher Lohn

Die Vorteile des 80- Prozent-Pensums ohne Lohneinbusse liegen auf der Hand. Arbeitnehmende profitieren von gleichem Lohn wie vor der Reduktion, gekürztem Arbeitspensum, mehr Freizeit und der Schaffung zusätzlicher Arbeitsplätze ‒ sofern die reduzierten Pensen zur Schaffung neuer Positionen eingesetzt werden. Arbeitgebende auf der anderen Seite profitieren dank einer Pensumsreduktion von gesünderen, zufriedeneren, motivierteren und leistungsfähigeren Mitarbeitenden, die zudem dank Zeit und Abstand kreativer sind. Weitere positive Effekte sind die Optimierung von Abläufen mit Fokus auf das wirklich Wichtige, weniger krankheitsbedingte Ausfälle und eine Arbeitsgestaltung, die den Generationen Y und Z entspricht (Flexibilität, Freiheit, Verantwortung sind wichtig, Karriere und Höhe des Lohnes stehen nicht mehr im Vordergrund). Auf der Negativseite könnten Arbeitgebende unter dem verstärkten Mangel an Fachkräften leiden, sofern aufgrund der reduzierten Pensen zusätzliche Stellen geschaffen werden müssen und Zuwanderung sowie Digitalisierung diesen Fachkräftemangel nicht auffangen können. Auch höhere direkte Personalkosten wären möglich. Diese liessen sich aber zumindest teilweise durch Produktivitätsgewinne kompensieren.

Das Arbeitsmodell der Zukunft?

Die politische und wirtschaftliche Realität ist die, dass ein solches 4-Tage-Modell mit 80 Prozent bei gleichem Lohn in der Schweiz aktuell wenig Chancen hat. Dennoch ist es an der Zeit, dass Arbeitgebende und Politik gemeinsam mit den Mitarbeitenden sowie den Sozialpartnern kreative und pragmatische Modelle entwickeln, die den Ansprüchen nach Gesundheit, Effizienz sowie Vereinbarkeit von Arbeit und Privatleben ‒ insbesondere Familie ‒ entsprechen.


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