Die Zürcher Marketing-Agentur addvanto hat im Frühjahr 2022 die 4-Tage-Woche eingeführt. Im Interview spricht CEO Stefan Planzer über seine Erfahrungen, die Reaktion von Mitarbeitenden und Kunden und zieht eine erste Bilanz.

Ihre Firma hat im letzten Frühling die Vier-Tage-Woche eingeführt. Warum?

Im Digitalen Marketing ist der Fachkräftemangel akut. Diese Disziplin ist noch jung, entsprechend rar und begehrt sind gut ausgebildete Talente. Wir haben nach einem Modell gesucht, wie wir attraktiver werden und gleichzeitig unser bestehendes Team motivieren und an uns binden.

Einen Tag weniger arbeiten = vier Tage total im Stress?

Nein. Das 100%-Pensum besteht aus 34 Stunden verteilt auf vier Tage. Es ist ein bewusster Entscheid für die Work-Life- Balance des gesamten Teams. Umsetzbar ist das nur, wenn man alles Unnötige streicht und gleichzeitig die Effizienz und Effektivität steigert. Das fordert vom ganzen Team viel Disziplin und Eigenverantwortung bei der Arbeitsorganisation.

Was heisst das konkret?

Prioritäten setzen und bei der Sache bleiben. Viel hat auch mit Koordination zu tun. Wir arbeiten interdisziplinär und an verschiedenen Projekten gleichzeitig ‒ Abstimmung und saubere Übergaben sind essenziell, damit ein möglichst schlanker Ablauf gewährleistet ist. Dabei nutzen wir digitale Tools zur Optimierung der Arbeitsprozesse.

Wie funktioniert das Modell für Teilzeitangestellte?

Bei uns haben alle eine Vier-Tage-Woche. Wer zuvor 100% gearbeitet hat, profitiert von ca. 50 zusätzlich freien Tagen pro Jahr, wer bereits ein 80 Prozent Teilzeitpensum hatte, erhält 20 Prozent mehr Lohn.

Wie reagierten Kundinnen und Kunden neue Modell?

Es stiess auf grosses Interesse, schliesslich stehen Flexibilität, agiles Arbeiten und neue Arbeitsmodelle bei allen zeitgemässen Unternehmen auf der Agenda. Wir führten spannende Diskussionen, die Rückmeldungen waren durchwegs positiv. Auf der Projektebene hat sich für unsere Kundschaft nichts geändert. Wir sind fünf Tage pro Woche erreichbar. Die Qualität oder der Output darf nicht darunter leiden. Sobald wir merken, dass wir das nicht stemmen können, brechen wir ab.

Welche Bilanz ziehen Sie nach 6 Monaten?

Wir haben innerhalb der Belegschaft eine Umfrage gestartet und werden diese in Kürze auswerten. Dann beschliessen wir, wie es weiter geht. Was sich jetzt schon sagen lässt: Die Aussenwahrnehmung ist hervorragend und das Team steht voll hinter dem Modell. Die Belegschaft kommt motiviert und mit Freude zur Arbeit, ist produktiv und geniesst die ausgeglichene Work-Life-Balance. Natürlich gibt es auch Schwierigkeiten: So hat beispielsweise die Komplexität der Koordination exponentiell zugenommen. Hier suchen wir noch die optimale Lösung. Es ist eine Herausforderung, doch wir glauben an das Modell.

In Frankreich gilt die 35-Stunden-Woche. Belgien führte per Gesetz die Vier-Tage-Woche mit 38 Arbeitsstunden ein, Spanien und England lancieren umfangreiche Testprojekte. Was ist mit der Schweiz?

Grosse Firmen bieten auch hierzulande ihren Mitarbeitenden bereits unterschiedliche Varianten flexibler Arbeitsmodelle an. Aber klar, es ist ein individueller, unternehmerischer Entscheid. Es freut mich, dass vermehrt diskutiert wird, wie wir als Standort Schweiz attraktiv bleiben und innovative Modelle eine Bühne kriegen. Wenn wir mit unserem Vier-Tage-Modell einen kleinen Beitrag leisten, haben wir schon viel erreicht.

Das Interview führte ANINA RETHER, Redaktorin Wir Kaufleute


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