Sie kennen das: Ihr Chef hat Ihren Textentwurf überflogen («Ist soweit okay!») und hat ihn mit ein paar «kleinen Anmerkungen» versehen. Will heissen: Er hat Ihren Text bis zur Unkenntlichkeit zerstückelt und vollständig umgeschrieben. Und zwar nach diesen auf Führungsetagen weit verbreiteten Geheimrezepten…

Rezept 1: Texte mit zusammengesetzten Substantiven, Füllwörtern und Floskeln anreichern

Wenn von «konjunktureller Situation» die Rede ist, vom «schulischen Bereichsfeld» oder von «ungünstigen Wettbewerbsbedingungen», dann folgt meist Grundsätzliches. Wer allzu harte und klare Sachverhalte etwas abfedern möchte, bedient sich gerne in der Schublade der Floskeln und Füllwörter und reichert damit seine Texte an: «Allerdings, eigentlich, durchaus, ziemlich, relativ, gänzlich, gewissermassen, in diesem Zusammenhang, unseres Erachtens» passen immer und überall.

Rezept 2: Der Nominalstil ist die Krönung eines Satzes

Wer eine «Aufgabenübertragung» veranlasst, hat es in die Chefetage geschafft. Er kann die «Weiterführung» eines Versuches oder die «Überarbeitung» eines Projektes anordnen, ganz zu schweigen von der «Regelung» der Arbeitszeiten. Substantive mit der Endung -ung sind so etwas wie die gekrönten Häupter der deutschen Sprache. Der Leser soll sich vor ihnen verneigen – und natürlich vor ihrem Verfasser.

Rezept 3: Schachtelsätze zeugen von der sprachlichen Kompetenz und der Ausdauer seines Verfassers

«Aufgrund der Rückmeldungen der sich im dritten Lehrjahr befindenden Jugendlichen sollen die Sprachfächer den Möglichkeiten, welche die neuen Technologien bieten, angepasst werden.» So kann wahrlich nicht jeder in die Tasten hauen. Oder so: «Nach Ablauf der ordentlichen oder erstreckten Einreichungsfrist gestellte Fristerstreckungsgesuche müssen leider abgewiesen werden, denn eine abgelaufene Frist kann nicht mehr erstreckt, sondern höchstens noch – falls die Voraussetzungen von § 15 der Verordnung zum Steuergesetz (VO StG) erfüllt sind – wiederhergestellt werden.» Boah! Der hat’s erfunden!

Rezept 4: Adjektive und gesteigerte Adjektive geben dem Text Tiefenschärfe!

«Niedrigpreisiges Segment» tönt doch so viel besser als «Billiglinie» und auch «steuerliche Einkommensoptimierung» oder «gewerbliche Aktivitäten» lassen einen kompetenten Verfasser vermuten. Wer seinem Text Gewicht verleihen will, peppt ihn mit Adjektiven oder noch besser mit gesteigerten Adjektiven auf. Manche lassen sich zwar gar nicht steigern, aber das merken die meisten Leser nicht. Steigerungen lesen sich halt gut. Wie zum Beispiel: «in keinster Weise» oder «vollste Zufriedenheit».

Rezept 5: Wer unverständlich schreibt, hat gewonnen!

Wer so etwas schreibt, der will nicht verstanden werden und hat gewonnen. Der Leser gibt klein bei: «Kreativität wird vom selbst optimierenden Subjekt der digitalen Spätmoderne als Ressource begriffen, als Mittel zum Zweck.» Auch bei diesem Beispiel sind keine lästigen Rückfragen zu befürchten, weil der Leser abhängt und sich geistig die Einkaufsliste für den Feierabend zusammenstellt: «Im Mittelpunkt der Tagung stehen drei Problemkreise: die technische Realisierbarkeit neuer audiovisueller Kommunikationsmittel in ihrer jeweiligen Relation zur wirtschaftlichen Praktikabilität und zur kundenseitigen Akzeptanz.»

In vielen Unternehmen arbeiten ganze Marketingabteilungen hart an unverständlichen Formulierungen. Denn wer von «Kapazitätsüberhängen» spricht, will dem Leser nicht auf dem silbernen Tablett präsentieren, dass die Auftragslage des Unternehmens desolat ist. Wirklich geniale Bank-Marketingfachleute haben sich bei der letzten Finanzkrise deshalb das Wort «Gewinnwarnung» ausgedacht. Alle Achtung!

Aber: Es geht auch anders. Schreiben Sie nicht wie Ihre Vorgesetzten. Schreiben Sie Texte, wie Sie sie bekommen möchten. Kurz, kraftvoll, verständlich und vor allem leserfreundlich.

Ach, und noch was: Schicken Sie Ihren Chef ins Schreibtraining! Er hat es bitter nötig.


Gabriela Baumgartner, Redaktorin bei Schweizer Radio und Fernsehen (SRF), Dozentin für den Kaufmännischen Verband und Sachbuchautorin («Besser schreiben im Alltag« und «Besser schreiben im Business«, beide Edition Beobachter). gabrielabaumgartner.ch