Via soziale Medien lassen sich detaillierte Informationen über Leute sammeln. Interessant ist das für Werbetreibende – und die Politik: So hat Social-Media-Campaigning beispielsweise die US-Wahlen vermutlich massgeblich beeinflusst. Sind zielgerichtete Informationen für Userinnen und User zweckdienlich und praktisch – oder werden sie unwissentlich beeinflusst?

Beeinflusst Campaigning respektive Online-Campaigning Wähler/-innen respektive Kund/-innen? Wo endet die zielgerichtete Information und beginnt die Manipulation?

Natürlich beeinflussen wir mit unserer Arbeit Wähler und Kunden. Alles, was man tut, jede Information, die eine Wirkung entfaltet, beeinflusst Denken, Verhalten und Meinungen von Zielgruppen (online sind das eher Dialoggruppen). Würde eine Information nichts und niemanden beeinflussen, kann man genauso gut nichts tun. Manipulation beginnt dort, wo man Techniken und Tricks anwendet, die die Dialoggruppen nicht durchschauen und/oder wenn man seine Ziele verheimlicht oder die Dialoggruppen diesbezüglich täuscht. Im Übrigen ist die Beeinflussung von Dialoggruppen überhaupt nichts Neues: Das haben schon die alten Griechen gemacht und dafür die Kunst der Rhetorik erfunden. Und vor ihnen wahrscheinlich auch noch andere Völker.

Wie verhindert man als Newskonsument auf Social Media, dass man in einer gefilterten Informationsblase landet?

Wir leben alle in Informationsblasen und das schon immer. Wir beide bewegen uns gerade in der Blase, in der man meint, Fake News seien ein neues Phänomen, das dank Social Media Einfluss nimmt. Aber das stimmt so gar nicht! Wie kommen wir nun aus dieser Blase heraus? Es fängt mit folgender Erkenntnis an: Wir wissen nicht, was wir nicht wissen, und mindestens das sollten wir aber wissen. Und wer meint, er wisse, was in der Welt passiert, hat nicht einmal einen blassen Schimmer von all dem, das er nicht weiss.

Die Medien haben somit auch vor Social Media schon gefiltert?

Natürlich. Die Medien filtern seit es sie gibt jeden Tag aus der Unmenge an Informationen, die sie erhalten – was nur einen Bruchteil aller Ereignisse auf diesem Planeten darstellt – das heraus, was sie für uns als relevant erachten. Und dann bereiten sie diese Inhalte nach Kriterien auf, die sie selbst definiert haben. Vor dem Internet haben wir deshalb in viel kleineren Informationsblasen gelebt und wichtige Informationen gar nie erfahren. Und wenn wir immer nur die gleiche Zeitung gelesen haben, dann war diese Information auch noch entsprechend gefärbt. So sehr die Diskussion auch gerechtfertigt ist: Wir haben heute viel mehr Informationskanäle zur Verfügung als früher und alleine schon die Tatsache, dass Informationsblasen ein breit diskutiertes Thema sind, zeigt doch, dass sich die Situation insgesamt gebessert hat. Wenn wir die vorhandene Vielfalt auch nutzen, erhalten wir Informationen, die durch ganz verschiedene Filter gegangen sind. So bekommen wir ein objektiveres Bild.

Sehen Sie in Big Data nur Potenzial – oder auch eine gewisse Gefahr?

Big Data beinhaltet sicher auch Gefahren, vielleicht sogar welche, deren wir uns heute noch gar nicht bewusst sind. Eine kaum diskutierte Gefahr ist beispielsweise, dass wir dank der vielen Gadgets immer bequemer werden und irgendwann gar nicht mehr in der Lage sind, bestimmte Tätigkeiten auszuüben. Ich hatte als Motorradfahrer immer ein gutes Gespür für das Wetter. In den letzten Jahren habe ich mich immer mehr auf den Regenradar verlassen, bis ich merkte, dass mein Gespür für das Wetter verloren ging. Seitdem fahre ich wieder mehr nach Gefühl und merke, wie es wieder besser wird. Wir drohen, Fähigkeiten zu verlieren. Viel – aber noch nicht ausreichend – diskutiert sind die Gefahren für die Privatsphäre, der gläserne Mensch. Nicht auszudenken, wenn diese Daten in die falschen Hände geraten oder was die Folge davon sein wird, dass wir uns schleichend an den Verlust der Privatsphäre gewöhnen. Dann sind Diktaturen schnell auch nicht mehr so schlimm. Oder denken wir nur an den möglichen Datenmissbrauch durch Konzerne oder Regierungen, um uns gezielt und intransparent zu manipulieren. In gewissem Sinne kann man durchaus sagen, die Demokratie sei in Gefahr. Nehmen wir die letzten US-Präsidentschaftswahlen: Es hat zwar auch früher schon heimliche Einmischungen fremder Staaten in Wahlkämpfe gegeben, aber die Einfachheit, mit der das heute geht, hat auch kleineren und nicht so reichen Ländern Tür und Tor geöffnet, sich in die Wahlkämpfe anderer Länder einzumischen. Ich habe das Gefühl, wir haben da bisher nur die Spitze der Spitze des Eisbergs mitbekommen, und das könnte noch ganz schön chaotisch werden.

Wie leicht lassen sich Social-Media-Nutzerinnen und -Nutzer denn beeinflussen?

Social-Media-User sind Leute wie Sie und ich – und Sie lassen sich genauso leicht beeinflussen und manipulieren. Dass sie anhand weniger Likes problemlos kategorisiert und für zielgerichtete Polit-Kampagnen anfällig werden, hat sich mittlerweile allerdings als reine – und vor allem falsche – Werbebotschaft von Cambridge Analytica herausgestellt. Das bedeutet aber nicht, dass man Userinnen und User gar nicht kategorisieren kann – man macht es einfach anders. Auch wir betreiben Mikrotargeting im weitesten Sinne; das ist auch nichts wirklich Neues. Etwas Ähnliches habe ich schon 1992 im Rahmen einer Volksabstimmung gemacht, mit den damals zur Verfügung stehenden wenigen „Big Data“ und Mitteln, aber im Ansatz genau das Gleiche: Wir haben bestimmte Wählersegmente verunsichert, um sie vom Urnengang abzuhalten, jene auf unserer Seite mobilisiert und die Unentschiedenen zu überzeugen versucht. Das ist von jeher die Grundstrategie einer jeden Wahl- und Abstimmungskampagne und nicht neu von Donald Trump oder Cambridge Analytica erfunden worden.

Ist eine bessere Social-Media-Erziehung nötig?

Ich würde noch einen Schritt weiter gehen und eine Meinungsbildungserziehung fordern: Wir müssen uns bewusster werden, wie wir uns unsere Meinungen bilden, welche Prozesse da ablaufen und wie sie beeinflusst werden können. Was wir heute an Manipulation und Fake News in Social Media sehen, hat es schon früher gegeben, in Zeiten, als es noch gar kein Internet gab. Man denke nur an die Propaganda der Nazis oder der kommunistischen Regime im früheren Osten Europas. Der Umgang mit Informationen, eine selbstkritische Beurteilung dessen, wie wir vereinfachen, kategorisieren, Begriffsdefinitionen bilden und verwenden, Informationen in Schubladen ablegen und unser Meinungsbildungsprozess vorgeht, das sollte in der Tat in grossem Umfang unterrichtet werden, – auf eine Art, die zu einem immer kritischen Denken führt.

Ist die durch das World Wide Web erhoffte Demokratisierung von Wissen inzwischen nur noch Wunschdenken?

Im Gegenteil. Wir haben heute so viele Wissens- und Informationsquellen, wie nie zuvor. Das kann per se gar nicht schlecht sein – vor allem, wenn man es mit der Situation davor vergleicht. Da standen uns viel weniger Informationsquellen zur Verfügung und diese Informationen wurden zudem auf undurchsichtige Weise durch die Medien gefiltert und aufbereitet. Was wir heute brauchen, ist nicht weniger Information. Wir müssen nur lernen, wie wir richtig mit der uns zur Verfügung stehenden Informationsflut umgehen. Wie wir sie so nutzen können, dass wir bessere Entscheidungen treffen, die nicht nur unseren eigenen, persönlichen Zielen nutzen, sondern insgesamt aus der Welt einen besseren Ort zum Leben machen. Und zwar nachhaltig.


Peter Metzinger ist Gründer und Inhaber der business campaigning Switzerland GmbH sowie Co-Gründer und Verwaltungsratspräsident von The Reputation Rescue Company AG in Zürich. Der gelernte Diplom-Physiker war u.a. als Campaign Director bei Greenpeace tätig und beschäftigt sich seit über 20 Jahren mit Krisenkommunikation. Er ist Fachdozent an mehreren Fachhochschulen sowie Weiterbildungsinstituten und Autor mehrerer Bücher, darunter das Campaigning-Standardwerk „Business Campaigning – Strategien für turbulente Märkte, knappe Budgets und grosse Wirkungen“ (Springer 2004 und 2006).


Weitere Informationen zum Thema finden Sie im Beitrag „Social Manipulation: Ist ein neues Level der Beeinflussung erreicht?“ im Magazin Wir Kaufleute März / April 2017.

Wenn Sie sich vertieft mit dem Thema befassen möchten, legen wir Ihnen folgenden Bildungsgang an der KV Zürich Business School mit Peter Metzinger ans Herzen:

Strategisches Campaigning