Der Erfolg eines Unternehmens basiert auf gesunden und motivierten Mitarbeitenden. Doch sind Überlastung, Burnout, Motivationsmangel, hohe Absenzen und Fluktuation häufig die Realität. Oft sind diese Symptome die Folgen von hoher Belastung am Arbeitsplatz. Reto Kälin von der Gesundheitsförderung Schweiz erklärt, warum das so ist.

Zunächst ein Überblick: Wie steht es Ihrer Erfahrung nach aktuell um die Gesundheit der Schweizer Mitarbeitenden?

Der aktuelle Job-Stress-Index 2020, der von Gesundheitsförderung Schweiz als regelmässiges Monitoring seit 2014 in Auftrag gegeben wird, zeigt, dass die Belastungen am Arbeitsplatz im Vergleich zu den Ressourcen seit 2014 signifikant zugenommen haben. Mittlerweile berichten schon drei von zehn Erwerbstätigen von mehr Belastungen als Ressourcen bei der Arbeit.

Was müsste im Bereich des betrieblichen Gesundheitsmanagements am dringendsten verändert werden, um diese Entwicklung zu bremsen?

Es muss dafür gesorgt werden, dass in den Betrieben konsequent Massnahmen umgesetzt werden, welche die Ressourcen der Mitarbeitenden stärken. Zum Beispiel, indem ihr Handlungsspielraum vergrössert oder die Wertschätzung für ihr Schaffen erhöht wird. Oder aber es wird versucht, die Belastungen am Arbeitsplatz zu reduzieren.

Welche Faktoren beeinflussen die Gesundheit der Mitarbeitenden denn massgeblich? Welchen Anteil hat Die Führung, haben die Kolleginnen und Kollegen oder hat die Infrastruktur?

Das ist individuell sehr verschieden. Die Führungskräfte, aber auch die Kolleginnen und Kollegen können so wohl Ressourcen sein, aber bei Konflikten schnell auch zu relevanten Belastungen werden. Eine zeitgemässe und den Arbeitsanforderungen entsprechende Infrastruktur trägt auch zur Gesundheit und Motivation der Erwerbstätigen bei. Die zunehmende Arbeitsintensivierung, die durch immer mehr Ansprüche an die Erwerbstätigen definiert ist, kann als weiterer belastender Faktor angesehen werden.

Gibt es denn Möglichkeiten, wie sich Arbeitnehmende selbst vor gesundheitlichen Belastungen schützen können? Oder andersherum: Wie können sie ihre Ressourcen selbst ausbauen?

Bezogen auf die Daten des Job-Stress-Index lässt sich darüber nichts sagen. Die Ressourcen, die wir regelmässig abfragen, beziehen sich auf diejenigen am Arbeitsplatz. Wie schon gesagt: auf den Handlungsspielraum, auf
die allgemeine Wertschätzung oder auf die Ganzheitlichkeit der Aufgaben. Hier sehen Sie selbst: Darauf haben Erwerbstätige nur bedingt Einfluss. Was wir grundsätzlich als Stiftung sagen würden: Reden hilft. Wenn möglich, sollte das Gespräch mit dem/der Vorgesetzten gesucht werden,
um Lösungen zu finden, welche die Belastungen reduzieren und die Ressourcen am Arbeitsplatz stärken.

Sind Schweizerinnen und Schweizer ein Volk von gestressten Arbeitsameisen? Müssen wir unseren Fokus ändern, also weniger arbeiten — Stichwort «Vier-Tage-Woche»?

Dies kann ich Ihnen so nicht beantworten. Uns ist es ein Anliegen, dass die Arbeitgebenden erkennen, dass sie von einem systematischen betrieblichen Gesundheitsmanagement profitieren, da sie durch Investment in weniger Belastungen und mehr Ressourcen gesunde Mitarbeitende bekommen, die weniger Produktivitätsverluste durch Absentismus und Präsentismus verursachen. Die Schweizerinnen und Schweizer sind sehr arbeitsam und das gilt es durch gute Arbeitsbedingungen zu erhalten. Natürlich wäre eine «Vier-Tage- Woche» gut für die Regeneration, aber die Umsetzbarkeit solch eines Modells und die Bedeutung für die Wirtschaft müsste in einer separaten Studie von Expertinnen und Experten untersucht werden. Was wir durch unsere Studie sagen können: Wenn wir bei allen Personen, die derzeit von mehr Belastungen als Ressourcen am Arbeitsplatz berichten, diese in ein Gleichgewicht bringen würden, könnten die Produktivitätsverluste durch Absentismus und Präsentismus so reduziert werden, dass gesamtschweizerisch ein ökonomisches Potenzial mit einem Wert von 7,6 Milliarden Franken wieder zur Verfügung stünde.

Und zum Schluss: Wie lautet Ihr Rezept, um über Jahre hinweg gesund durch den beruflichen Alltag zu kommen?

Ich versuche, die Ressourcen, die mir zur Verfügung stehen, zu nutzen und suche bei Belastungen mit Vorgesetzten und Arbeitskolleginnen und -kollegen das Gespräch. Zudem achte ich darauf, dass ich in der Freizeit gut von der Arbeit abschalten kann ‒ beispielsweise bei Aktivitäten mit der Familie oder beim Sport.