Drei erfahrene Berufs- und Praxisbildende aus verschiedenen Bereichen erzählen, wie sich ihr Job im Laufe der Jahre verändert hat. Und was sie Lernenden in Krisenzeiten raten.

Welche grösseren Veränderungen haben Sie in ihrer Zeit als Berufs- und Praxisbildende mitgemacht?

ANDRÉ BUCHER: Wechsel auf die time2learn-Plattform, den digitalen Ausbildungsplaner für die berufliche Grundbildung.
PATRICIA SUMMER ROSSI: Seit meiner Lehrzeit habe ich alle drei Reformen miterlebt, KV 1986, NKG 2003 und BiVo 2012. Bei der Gestaltung der KV-Reform «Kaufleute 2022» bin ich aktiv beteiligt und wirke in einer der Arbeitsgruppen mit.
VERA BOSSART: Ich habe zwei KV-Reformen miterlebt, den Wechsel vom Papierbüro zur Informatik, von der Schreibmaschine zum Computer, vom Lehrling zur Lernenden, von der Lehrmeisterin zur Berufsbildnerin.

Die grösste Herausforderung der heutigen Zeit?

BUCHER: Die ständigen Veränderungen in der KV-Ausbildung.
SUMMER ROSSI: Das Zeitmanagement und die Flexibilität als eine der wichtigsten Kompetenzanforderungen der modernen Arbeitswelt.
BOSSART: Lernende zu fordern, zu fördern und dabei immer à jour zu sein mit allen Veränderungen, die der kaufmännische Beruf mit sich bringt.

Was bedeutet das für Sie als Berufs- oder Praxisbildner/in?

BUCHER: Immer wieder Neues dazulernen und optimieren.
SUMMER ROSSI: Dass ich mich gut organisiere und die Termine der vielen verschiedenen Anspruchsgruppen nicht aus den Augen verliere.
BOSSART: Dass ich in meine eigene Weiterbildung investiere, dass die Lehrbetriebe, mit denen ich arbeite, nicht stehen bleiben dürfen, dass ich meine Anforderungen je nach Generation anpasse und auch Altbewährtes nicht immer schlecht finde.

Und was bedeuten die Veränderungen für die Lernenden?

BUCHER: Sie fordern die Lernenden, doch dafür sind sie auch immer auf dem neusten Ausbildungsstand.
SUMMER ROSSI: Viel Disziplin, eine gute Selbstorganisation, stetiges «dranbleiben». Für die Lernenden ist die Flexibilität eine der grössten Herausforderungen der modernen Arbeitswelt.
BOSSART: Dass sie viel selbstständiger arbeiten müssen, dass die Erwartungen an sie sehr hoch sind, dass man sie falsch einschätzt (ihre IT-Kenntnisse sind oft schwach). Lernende müssen aktiver sein, um gut und professionell ausgebildet zu werden.

Wie gehen Sie als Betrieb auf die momentan schwierige Situation der Lernenden ein?

BUCHER: Wir liefern laufend Corona-Updates und setzen auf noch mehr Kommunikation.
SUMMER ROSSI: Wir bieten den Lernenden nach wie vor die Möglichkeit, an den internen Fragestunden (Nachhilfe) teilzunehmen, sind in regem Kontakt und Austausch, haben gemeinsame «zoom-Pausen» etc.
BOSSART: Wir führen regelmässig Gespräche, telefonisch oder bei einem Spaziergang (social distancing inklusive), übertragen den Lernenden spannende Aufgaben, nutzen auch die neuen digitalen Tools und fordern sie auf, sich mehr bei uns zu melden, wenn sie anstehen. Auch auf die tägliche Kaffeepause wird nicht verzichtet, sie findet virtuell statt.

Bieten Sie nun weniger Lehrstellen an? 

BUCHER: Nein, wie bieten gleich viele Lehrstellen an wie vor der Krise.
SUMMER ROSSI: Nein, ganz klar nicht.
BOSSART: Bei gewissen Betrieben, für die ich arbeite, werden einige Lehrstellen nicht besetzt. Doch ich weiss von anderen, die dafür «Abschluss-Lernenden» eine Anstellung anbieten.

Die Lernenden erhalten 2020 kein Abschlusszeugnis. Wie selektieren Sie?

BUCHER: Das Bauchgefühl ist bei der Rekrutierung schon immer ein wichtiger Begleiter. Doch wir werden genügend zusätzliche Anhaltspunkte erhalten, um ein gutes Gesamtbild der Bewerbenden zu erhalten.
SUMMER ROSSI: Ich verlasse mich seit jeher auch auf mein Bauchgefühl. Ein Schnuppertag bietet einen zusätzlichen Einblick für beide Seiten und rundet den ersten Eindruck ab.
BOSSART: Die Selektion von Lernenden ist 80 Prozent Bauchgefühl. Dieses sichere ich mit einem guten Assessment ab. Aufgrund der nun fehlenden Zeugnisse werde ich die schulischen Bereiche dabei etwas vertiefter prüfen.

Haben Ihre Lernenden Aussicht auf eine Festanstellung?

BUCHER: Ja. Wenn die Leistungen gut und die Motivation über die Lehrzeit spürbar waren, haben die Lernenden gute Aussichten auf eine Weiterbeschäftigung.
SUMMER ROSSI: Wir bieten diese Möglichkeit für zwei bis drei Lernende an.
BOSSART: Ich habe keine eigenen Lernenden, da ich im Auftrag von Kunden Lernende begleite.

Ihr Rat an die Lernenden in der aktuellen Situation?

BUCHER: Aus dieser schwierigen Situation das Beste machen und sich an die Empfehlungen halten (neuer Lernprozess).
SUMMER ROSSI: Frau/Mann hat nie ausgelernt! Diesen Rat gaben mir schon meine Eltern ‒ und er ist noch immer genauso wahr wie damals. Auch gebe ich einen Lernenden mit auf den Weg: Übernehmt Selbstverantwortung, Schule- und Ausbildung ist eine Zeit, die ihr für euch ganz persönlich investiert.
BOSSART: Mein Rat für Lehrabgänger: Seid offen für Neues, nutzt Chancen, auch wenn sie nicht in der Komfortzone liegen, arbeitet auch Teilzeit und temporär, verbessert Sprachkenntnisse und IT-Skills. Für Schulabgänger: Gebt nicht auf! Fragt telefonisch in den Unternehmen nach, ob noch offene Lehrstellen vorhanden sind! Es sind noch gaaanz viele Unternehmen in der Selektion für 2020!

Die Interviewten

ANDRÉ BUCHER, Sachbearbeiter Rechnungswesen-Hauptbuch/Stv. Leiter Genossenschaft Migros Zürich –> seit zwölf Jahren Berufs- und Praxisbildner, 26 Lernende ausgebildet.
PATRICIA SUMMER ROSSI, Ausbildungsverantwortliche für KV und IT Eawag, Wasserforschungsinstitut der ETH –> seit 21 Jahren Berufs- und Praxisbildnerin, 28 Lernende ausgebildet.
Vera Bossart, Erwachsenenbildnerin, üK Leiterin KV, Prüfungsexpertin D&A, Coach Bossart HR Solutions GmbH, Zürich –> seit 30 Jahren Berufs- und Praxisbildnerin, 120 Lernende ausgebildet.


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