Edgar Spieler ist seit elf Jahren Leiter Arbeitsmarkt beim Zürcher Amt für Wirtschaft und Arbeit und unter anderem für die regionalen Arbeitsvermittlungszentren RAV und die Bildungs- und Beschäftigungsprogramme zuständig.

Wie haben sich die Arbeitslosenzahlen im Coronajahr verändert?

Die Arbeitslosigkeit ist markant gestiegen. Das Ausmass dieser Veränderung ist im Verhältnis zum Rückgang des Bruttoinlandprodukts (BIP) von geschätzten 4 Prozent im Kanton Zürich aber relativ gering. Hauptgründe dafür sind die Kurzarbeit, Corona-Kredite und Härtefallregelungen.

Welche Branchen kämpfen neben Tourismus, Hotellerie und Gastronomie aktuell am meisten?

Im ersten Quartal haben wir eine Zweiteilung der Wirtschaft erlebt. Branchen, die von der Binnennachfrage leben, waren stark unter Druck. In Branchen, die primär exportorientiert tätig sind, verbesserte sich die Geschäftslage. Inzwischen hat sich auch bei den Wirtschaftszweigen, die im Inland wirtschaften, vor allem beim Detailhandel, die Situation deutlich verbessert. Kritisch bleibt die Situation im Gastgewerbe.

Wo werden wieder Arbeitskräfte gesucht?

Bedingt durch die Pandemie sehen wir eine erhöhte Nachfrage im Gesundheitswesen, bei Kurierdiensten oder in der Logistik. Die einsetzende Erholung der Wirtschaft führt wieder zu mehr offenen Stellen zum Beispiel beim Verkaufspersonal und den Bürokräften. Mittel- und längerfristig werden Arbeitskräfte im digitalen Umfeld noch stärker gefragt sein.

Wie hat sich denn der Zustand – die Stimmung – der Stellensuchenden verändert?

Wir merken, dass bei einigen Stellensuchenden die Nerven blank liegen. Es ist Aufgabe der RAV, diesen Menschen aufzuzeigen, wo es Möglichkeiten gibt ‒ vielleicht ausserhalb des angestammten Berufs und vielleicht nur vorübergehend. Der Bund hat von März bis August letzten Jahres 120 zusätzliche Taggelder gesprochen und zwischen März und Mai 2021 nochmals 66 zusätzliche Taggelder bewilligt. Durch die Arbeit der RAV und mithilfe dieses finanziellen Auffangnetzes sollte es möglich sein, dass die Menschen doch wieder eine Stelle finden. Ausserdem bessert sich nun die Lage auf dem Arbeitsmarkt.

Wen trifft die Corona-Krise jobmässig am härtesten?

Die 20- bis 29-Jährigen. Erstens haben junge Erwachsene weniger Berufserfahrung, kommen oft frisch aus Ausbildungen. Zweitens arbeiten sie vielfach in Branchen, die von dieser Krise überdurchschnittlich stark betroffen sind: Gastronomie, Hotellerie, Detailhandel. Fazit: Eine Lehrstelle zu bekommen, klappt nach wie vor gut. Doch nach der Lehre oder einer anderen Ausbildung einen Job zu finden, ist momentan anspruchsvoll.

Gibt es in einer solchen Situation spezielle Unterstützung?

Bei Arbeitsmarktkrisen sind junge Menschen meist stärker betroffen. Dafür profitieren sie bei einer Erholung der Wirtschaft auch als erste wieder, denn sie sind in aller Regel gut ausgebildet, verfügen über aktuelles Wissen und neue Diplome. In der Beratung weisen wir darauf hin, wie wichtig es ist, auch vorübergehende Lösungen anzunehmen: befristete Anstellungen, kurzfristige Einsätze, ein Praktikum. Natürlich sind solche Optionen finanziell gesehen weniger attraktiv, aber dafür gewinnen diese jungen Menschen wertvolle Erfahrungen und Kontakte.

Wie wichtig ist Weiterbildung in Krisenzeiten?

Im kaufmännischen Bereich ist die Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt
nach Generalisten seit einigen Jahren rückläufig. Also ist es wichtig, zu erkennen, in welchem Gebiet man sich spezialisieren kann. Beispielsweise sind IT- und Technologiekenntnisse sehr gefragt. Doch man muss sich auch fragen: Was will denn ich? Was verleiht mir Sinn und wo möchte ich hin? Wir sind momentan alle ein Stück weit auf uns zurückgeworfen, was die Möglichkeit mit sich bringt, sich besser kennenzulernen und die eigenen Prioritäten neu zu ordnen. Die eigenen Softkills zu trainieren ‒ positiver Mindset, Umgang mit Veränderungen, Anpassungsfähigkeit, neue Ideen entwickeln ‒ bringt gerade in der Krise viele Vorteile.

Wo steht die Schweiz in einem Jahr?

Wir gehen davon aus, dass sich die wirtschaftliche Erholung in den kommenden Monaten fortsetzt und die Arbeitslosenzahlen kontinuierlich abnehmen. Gemäss Prognosen des SECO wird die Arbeitslosenquote im Jahresdurchschnitt 2021 3,3 Prozent betragen. Persönlich glaube ich, dass wir in einem Jahr unter 3 Prozent Arbeitslosenquote stehen werden. Dies unter der Voraussetzung, dass es mit den Impfungen gut vorwärts geht und die gebotenen Schutzmassnahmen weiterhin eingehalten werden.


Wie sieht es aktuell auf dem Arbeitsmarkt aus?

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Quellen

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