Seit dem 18. Januar gilt in der Schweiz eine Homeoffice-Pflicht. Mit sinkenden Fallzahlen und gleichzeitig steigenden Zahlen an Impfungen hat der Bund in Aussicht gestellt, die Homeoffice-Pflicht unter Einhaltung gewisser Regeln aufzuheben. Doch wir sind uns sicher: Homeoffice bleibt ein Thema und somit auch Boundary Management.

Auch wenn wir vielleicht schon bald wieder in den Räumlichkeiten unserer Arbeitgeber arbeiten dürfen, wird Homeoffice wohl nicht ganz aus unserem (Arbeits-)Leben verschwinden. Schliesslich haben wir in den letzten Monaten auch die Vorzüge des Homeoffice kennengelernt. Die Flexibilität zum Beispiel – Sport oder Einkaufen zu einer beliebigen Zeit ohne die grosse Masse ist doch eine schöne Annehmlichkeit. Doch genau diese Flexibilität kann auch zur Last werden.

Grenzerfahrungen der anderen Art

Wo die Grenze zwischen Arbeit und Privat durch weitgehende mobil-flexible Arbeit (zeitlich/örtlich ungebunden) nicht mehr klar durch den Arbeitgeber vorgegeben wird, sind Mitarbeitende in einem Anstellungsverhältnis zunehmend gefordert diese selber zu finden und zu setzen. Dies bedingt mitunter, dass diese mit Ihren Führungskräften auf Augenhöhe gehen und situativ passende Regeln der Zusammenarbeit aushandeln. Was für viele Arbeitnehmende aktuell eine grosse Herausforderung darstellt, da diese oftmals das eigene Bedürfnis nach Abgrenzung und/oder Integration dieser beiden Lebensdomänen zu wenig kennen. Dies kommt daher, dass wir in der alten Arbeitswelt sozialisiert wurden, wo diese Grenzen durch die Unternehmen klar vorgegeben wurden.

Vor diesem Hintergrund ist es ratsam, mittels folgender vier Schritte passende Boundary Taktiken zu entwickeln:

Schritt 1: Die Reflexion

Damit Sie bestimmen können, wo Sie konkret Bedarf nach individuellen Abgrenzungsstrategien haben, ist eine Reflexion des eigenen Arbeitsverhaltens auf der Metaebene erforderlich. Folgende Fragen sind hilfreich, um das persönliche Abgrenzungsbedürfnis bestimmen zu können.:

  • In welchen beruflichen/privaten Situationen empfinde ich negativen Stress, weil sich Arbeit und Privatleben zu sehr vermischen?
  • Wo erlebe ich immer wieder Konflikte mit meinem privaten oder beruflichen Umfeld und worauf sind diese zurückzuführen?
  • Welche Dinge aus meinem Arbeits- respektive Privatleben bereiten mir Freude und gehen mir leicht von der Hand? Welche Dinge empfinde ich als kräftezerrend und wie kann ich diese so eingrenzen, dass nicht zusätzlicher Stress entsteht?

Schritt 2: Die Auslegeordnung

Sobald klar ist, wo Sie konkret Bedarf nach geeigneten Boundary Taktiken haben, gilt es abzuwägen, ob Sie diese alleine entwickeln und ausprobieren können (z.B. wenn es darum geht, ein geeignetes Ritual zu finden um den Arbeitstag im Homeoffice zu beenden und in den Freizeitmodus zu wechseln) oder ob Sie diese mit den betroffenen Stakeholdern aushandeln müssen (z.B. wenn es darum geht, dass die Zusammenarbeit mit einem Teamkollegen oder einer Teamkollegin belastend ist, weil die Bedürfnisse nach Abgrenzung oder Integration von Arbeit und Privat zu gegensätzlich sind).

Schritt 3: Boundary Taktiken entwickeln

Sind die Problemherde einmal identifiziert, gilt es griffige und passende Abgrenzungsstrategien zu entwickeln. Wenn Sie hierbei auf bestimmte Stakeholder angewiesen sind, kommen Sie nicht darum herum das Gespräch mit den betreffenden Personen zu suchen, um gemeinsam eine Strategie zu finden wie das Zusammenwirken trotz unterschiedlicher Bedürfnislage für beide Seiten gelingen kann.

Schritt 4: Boundary Taktiken implementieren und bewirtschaften

Sobald Sie in der Theorie passende Abgrenzungsstrategien festgelegt haben, gilt es diese praktisch umzusetzen. Nicht selten zeigt sich dann, dass das eine oder andere nicht bedacht wurde und die Strategie dementsprechend adjustiert oder neu entwickelt werden muss. Wichtig ist, sich nicht entmutigen zu lassen. Aller Anfang ist schwer. Mit der Zeit bekommen Sie ein Gefühl dafür, was für Sie gut funktioniert und welche Art von Strategien in der Theorie zwar gut klingen, aber für Sie nicht praktikabel sind. Zudem können sich Ihre Lebensumstände jederzeit ändern, was das Entwickeln neuer Abgrenzungsstrategien bedingen kann. Daher bietet es sich an, in regelmässigen Abständen das eigene Wohlbefinden zu reflektieren (Schritt 1) und bei Bedarf entsprechende Anpassungen vorzunehmen (Schritte 2 bis 4), um das Gleichgewicht wieder herzustellen.


Über die Autorin

Leila Gisin ist Ar­beits-, Or­ga­ni­sa­ti­ons- und Per­so­nal­psy­cho­lo­gin so­wie wis­sen­schaft­li­che Mit­ar­bei­te­rin und Do­zen­tin an der Hoch­schu­le Lu­zern.