Beschimpfungen, Hetze und Gewaltaufrufe im Internet: Wutbürgerinnen und Wutbürger, Narzissten und politische Akteure provozieren und verschaffen sich durch Hate Speech in den sozialen Medien viel Aufmerksamkeit. Und die Anfeindungen im Netz nehmen zu.

Mein damaliger Ausbilder gab uns Lernenden einen für mich prägenden Satz mit auf den Weg: „Es gibt zwei Arten von Menschen auf dieser Welt: Aufbauer und Zerstörer. Ihr müsst Euch entscheiden, zu welcher Gruppe Ihr gehören wollt.” Aufbauer sind tolerant. Sie haben Verständnis für die Meinungen und Fehler der anderen, wollen helfen und übernehmen Verantwortung. Zerstörer hingegen machen alle anderen für ihr eigenes Leben verantwortlich, sehen meist nur sich selbst und ihre eigene Perspektive. Im Internet kommen die beiden Gruppen zusammen: Dazu gehören Visionärinnen, Konservative, Religiöse, Pessimisten, Optimistinnen und viele weitere. Entsprechend unterschiedlich sind die Meinungen. Treffen sie aufeinander, kommt es unweigerlich zu teils heftigen Auseinandersetzungen.

Beleidigung versus Hassrede

Allgemein lässt sich der Unterschied wie folgt definieren: Eine Beleidigung konzentriert sich auf die individuellen Merkmale einer Person, während Hassreden aggressive oder allgemein abwertende Aus-sagen über Personen sind, die einer Gruppe (z.B. Religion, Herkunft oder Sexualität) angehören. Der Begriff Hate Speech findet im deutschsprachigen Raum vor allem in Verbindung mit Hasskommentaren oder Hassreden im Netz Anwendung. Anhänger politisch oder anderweitig motivierter Gruppen nutzen sie, um ihre Ansichten zu verbreiten und versuchen so, Gleichgesinnte zu finden oder andere einzuschüchtern.

Mächtige Internet-Community

Online publizierte Hass-reden können Personengruppen aufstacheln und Gewalt in der realen Welt verursachen. Zahlreiche Amokläufe und Terrorakte in den USA fanden nachweislich ihren Ursprung in einschlägigen Foren. Trotzdem gestaltet sich eine Regulierung des Begriffs Hate Speech schwierig, da die Grenzen zu anderen erlaubten Äusserungen fliessend sind. Es gibt jedoch bereits Bereiche, in denen die Meinungsfreiheit nicht gilt, beispielsweise bei Verleumdungen, Aufstachelung zur Gewalt oder Kinderpornografie.

Verbreitetes Phänomen

Im Juni 2019 wurde in Deutsch-land eine bundesweite repräsentative Untersuchung zum Hate Speech Speech veröffentlicht. Dabei wurden 7349 Teil-nehmende im Alter von 18 bis 95 Jahren befragt. 76 Prozent der Befragten haben den Eindruck, dass Hate Speech im Internet in den vergangenen Jahren zugenommen hat. Jede, jeder Zwölfte (8 Prozent) war bereits persönlich von Hate Speech betroffen. Manche Gruppen weisen signifikant höhere Werte auf: 18- bis 24-Jährige (17 Prozent) und Einwanderungsfamilien (14 Prozent).

Hassbotschaften gefährden Vielfalt im Internet

Öffentliche Blossstellung wirkt sich negativ auf die Psyche aus. Wer schon einmal Opfer einer Hassrede oder von Beleidigungen im Internet geworden ist, wird seine Meinung in Zukunft wohl eher hinterm Berg halten. Narzisstische Menschen, Trolls und politisch motivierte Hassreden in Online-Foren und auf Internetplattformen gefährden den konstruktiven Meinungsaustausch. So werden aus sozialen Medien rasch asoziale Medien.


Dieser Artikel ist aus der aktuellen Ausgabe vom Mitgliedermagazin Wir Kaufleute. Hier finden Sie die ganze Ausgabe online.