Eine gute Work-Life-Balance ist heute in aller Munde. Seit 2011 zeichnet der Kanton Zürich die Arbeitgebenden mit den besten Bedingungen für die Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben mit dem Prix BalanceZH aus. Helena Trachsel, Leiterin der Fachstelle für Gleichstellung von Frau und Mann (FFG) des Kantons Zürich und Projektleiterin Prix BalanceZH, weiss, wo Gleichstellung auch heute noch nicht ganz umgesetzt ist.

Wir schreiben das Jahr 2019. Ist die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben tatsächlich noch Thema? Ist Gleichstellung nicht längst erreicht?

Bei uns auf der Fachstelle hören wir von jungen Männern und Frauen: Wir sind doch gleichgestellt. Tatsache ist aber: Die Familiengründung stellt nach wie vor einen Wendepunkt dar. Viele Betreuungspflichten ‒ im Übrigen nicht nur bezüglich Kinder, sondern auch bei pflegebedürftigen Angehörigen ‒ sind und bleiben an die Frauen gebunden. Auf der anderen Seite herrscht bei den Führungskräften und im HR vielerorts noch stereotypes Denken vor, das auf zu 100 Prozent angestellte Mitarbeitende fokussiert. In Teilzeitangestellte, die Betreuungsarbeit leisten, wird nicht investiert. Die Gleichstellung in den Köpfen hat also noch nicht umfassend stattgefunden.

Aber eine gewisse Veränderung können Sie feststellen?

Ja, es hat sich enorm viel getan. Der Anteil teilzeitarbeitender Männer im Kanton Zürich beträgt aktuell 17 Prozent und ist stetig wachsend. Und wir wissen aus Studien, dass sich junge Männer immer stärker in der Kinderbetreuung engagieren möchten. Aber damit sich noch mehr ändert, ist es wichtig, dass Männer in der Diskussion über Vereinbarkeit und Elternzeit mitreden.

Haben Frauen und Männer unterschiedliche Vorstellungen von einer guten Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben?

Das ist tatsächlich so. Für Männer stellt sich die Frage anders und zwar: Wie kann ich meine Ich-Zeit ‒ Sport, Hobbys, Freunde ‒ mit Beruf und Familie unter einen Hut bringen? Die Ich-Zeit bleibt dabei richtigerweise elementar wichtig.

Und bei den Frauen?

Frauen entscheiden sich nach der Geburt für kleinere Arbeitspensen, um Berufs- und Privatleben vereinbaren zu können ‒ oft zulasten der Ich-Zeit. Dadurch bleiben Haushaltspflichten vielerorts länger ungleich verteilt.

Ist dies der Grund, weshalb die Fachstelle den Prix BalanceZH ins Leben gerufen hat?

Unter anderem, ja. Die Diskussion schärft das Bewusstsein. Der Prix BalanceZH bedient dabei drei Themen. Als erstes den Fachkräftemangel. Arbeitnehmende können heute auswählen, wo sie arbeiten wollen ‒ flexible Arbeitsmodelle, welche die Gleichstellung fördern, sind ein Auswahlkriterium. Ich habe pro Monat vier bis fünf Anfragen von jungen Leuten, die konkret nach Prix-Balance-Firmen fragen; junge Fachkräfte also, die Arbeitgebende suchen, die dem Anspruch nach Vereinbarkeit und Lohngleichheit gerecht werden können.

Und die zwei anderen Themen des Prix BalanceZH?

Zweitens sind junge Frauen je länger je besser ausgebildet. Wenn sie im Erwerbsleben bleiben ‒ ein 50-Prozent-Pensum ist übrigens das Minimum ‒, ist das eine Win-win-Situation für Arbeitnehmerinnen und Arbeitgebende: Die Frauen sind finanziell abgesichert und Unternehmen erhalten motivierte Mitarbeitende, denn Teilzeitangestellte sind erwiesenermassen gute Arbeitnehmende. Aber auch die Gesellschaft als Ganzes profitiert, da sich ihre Investition in die Ausbildung auszahlt. Und: Wenn sich die Frauen an der Erwerbsarbeit beteiligen, bleibt die Rolle als Ernährer nicht alleine den Männern überlassen. Das dritte Thema des Prix BalanceZH ist das Bewusstmachen der Frauen-Altersarmut: Bei Frauen, die mit Minipensen von unter 50 Prozent wieder einsteigen, ist eine spätere Stellenerhöhung oft unmöglich. Wir wissen, dass jahrelange tiefe Pensen sich sowohl auf die Laufbahn als auch auf die Altersvorsorge ungünstig auswirken. Die Unabhängigkeit ist dadurch in Gefahr. Der Prix BalanceZH will Firmen, die diese Themen bewusst bearbeiten, belohnen und als Arbeitgebende auszeichnen, die Verantwortung übernehmen.

In welchen Bereichen besteht bei Firmen in Sachen Vereinbarkeit das grösste Verbesserungspotenzial?

Wichtig ist eine Vertrauens- und Dialogkultur. Mitarbeitende sollen ihre Betreuungsarbeit ohne Konsequenzen auch am Arbeitsplatz sichtbar machen dürfen, beispielsweise wenn sie abends früher los müssen, um die Kinder aus der Kita abzuholen. Umgekehrt sollen Mitarbeitende zeigen: Auf mich kann man zählen, ich erbringe meine Leistung ‒ wann, wie und wo ist meine Sache. Und wenn etwas nicht geht, dann spricht man miteinander. Teilzeitarbeitende sind ihren Arbeitgebenden gegenüber erfahrungsgemäss sehr loyal, sie sind dankbar und leistungsbereit. Doch unsere Gesellschaft baut bei der Betreuung auf unbezahlte Freiwilligenarbeit ‒ und auch diese Arbeit soll mit Respekt betrachtet werden.


Arbeiten Sie für einen vorbildlichen Arbeitgeber oder möchten Sie erfahren, welche Arbeitgeber die Gleichstellung fördern? Erfahren Sie mehr über den Prix BalanceZH.

 

Das Gespräch führte Rolf Butz, Geschäftsführer des Kaufmännischen Verbandes Zürich.