Die Berufslehre dient zunehmend als Sprungbrett zu weiteren Bildungswegen. In Zukunft werden daher die Berufsmaturität und die Stärkung der Grundkompetenzen während der Berufslehre wichtiger. Zudem stellt sich die Frage des Aufbaus dualer Studiengänge.

Der Bedarf und das Angebot an höher qualifizierten Arbeitskräften ist stark gestiegen. Verfügten im Jahr 2000 26 Prozent der jungen Erwachsenen zwischen 25 bis 34 Jahren über einen Abschluss einer Hochschule oder einer Höheren Berufsbildung, waren es 2023 doppelt so viele. Der Bundesrat rechnet damit, dass ab 2028 mehr Personen mit einem Tertiärabschluss erwerbstätig sein werden als mit einem Abschluss auf Sekundarstufe II.

Tertiärabschluss als neue Norm

Für die Zugewanderten der letzten zehn Jahre gilt dies bereits heute: Mehr als die Hälfte verfügt über einen Tertiärabschluss, in der Regel von einer Hochschule. Vor diesem Hintergrund erstaunt es nicht, dass die Jugendlichen immer häufiger eine tertiäre Ausbildung anstreben. Dies bedeutet keineswegs, dass die Berufslehre ausgedient hat. Sie wird jedoch zu einer Zwischenstufe auf dem Weg zur Höheren Berufsbildung oder zur Hochschule. In der Folge wächst der Anspruch an die berufliche Grundbildung: Sie muss nicht nur die Lernenden auf einen Beruf vorbereiten, sondern auch deren Anschlussfähigkeit an weiterführende Bildungsgänge sicherstellen. Die Attraktivität der Berufslehre wird in Zukunft stark davon abhängen, wie gut ihr diese zweite Aufgabe gelingt.

Stärkung der Berufsmatura und Grundkompetenzen

Die Berufsmaturität hat sich als alternativer Weg an die Hochschulen bewährt, wird aber noch zu wenig genutzt. Dies gilt insbesondere für die Berufsmaturität während der Lehre (BM1), die nur von rund 10 Prozent der Lernenden absolviert wird. Wollen Lehrbetriebe auch in Zukunft schulisch starke Jugendliche gewinnen, müssen sie die lehrbegleitende Berufsmaturität stärker unterstützen. Die Berufsmaturität ist nur für einen Teil der Lernenden realistisch. Daher führt kein Weg an einer Stärkung der Grundkompetenzen vorbei. Ohne solide Kenntnisse in Englisch und Mathematik sind Aus- und Weiterbildungen in vielen Berufsfeldern, von der Kommunikation über Technik und Verwaltung, schwierig. Es gilt, innovative Instrumente zur Stärkung der Grundkompetenzen während der Lehre zu entwickeln: von Ausland- und Sprachaufenthalten zu Programmierwochen und Wissenschaftswettbewerben.

Breitere Berufsprofile

Für viele ist die Berufslehre nicht mehr End-, sondern Zwischenziel. Eine Mehrheit ist auf dem Weg zu einem Tertiärabschluss. Dafür benötigen sie mehr Grundkompetenzen ‒ Bildung auf Vorrat ‒ und wären wohl in breiteren Berufsprofilen als den aktuell 240 Lehrberufen der Schweiz besser aufgehoben. Eine geringere Zahl von Lehrberufen würde zugleich die Professionalisierung der Organisationen der Arbeitswelt (OdA) fördern. Die Bildungsexpansion stellt Ausbildungsbetriebe vor Herausforderungen: Mehr Allgemeinbildung bedeutet weniger Arbeitszeit der Lernenden im Betrieb. Zudem verbleibt ein steigender Anteil der Lernenden nicht im Lehrberuf, sondern setzt die Ausbildung fort. Mit der Bildungsexpansion ergeben sich aber auch neue Chancen, die in Deutschland mit dem Aufbau dualer Studiengänge genutzt wurden. Sie verbinden Allgemeinbildung und berufspraktisches Wissen auf Hochschulebene. Der Einsatz älterer Lernender im Betrieb trägt zudem der Tatsache Rechnung, dass Jugendliche heute später von zu Hause ausziehen, später eine feste Stelle haben und später Eltern werden.

Fazit

Für die Zukunft erscheint wahrscheinlich, dass die Bildungsaspirationen der Jugendlichen weiter steigen. Die Berufsbildungspolitik kann diese Entwicklung ignorieren. Oder sie kann diesen Prozess mitgestalten, indem sie die Bildungsexpansion auch innerhalb der Berufsbildung aktiv mitvollzieht.

Autor

Daniel Oesch ist Professor für Soziologie an der Universität Lausanne und Direktor des Swiss Centre of Expertise in Life Course Research LIVES.