Seit den 1990er-Jahren beschäftigt sich Cornel Müller mit der Personalrekrutierung und hat seither mehrere Unternehmen gegründet.
Herr Müller, der Recruiting-Prozess ist heute von Schlagworten wie menschenzentriertes Arbeiten und Skill-Based-Hiring geprägt. Mehr als schöne Worte?
Leider nicht. Noch immer werden bis zu 55 Prozent der Arbeitssuchenden diskriminiert: Ü50, Mütter, Menschen mit Migrationshintergrund oder gesundheitlicher Beeinträchtigung. Die KI-Tools der HR-Abteilungen verstärken dies noch. Sie filtern gezielt und ausschliesslich nach den geforderten Skills. Dadurch werden Fähigkeiten übersehen, die in einem persönlichen Gespräch vielleicht zum Vorschein kommen. Ein Verlust für beide Seiten.
Kann es helfen, die Bewerbung mit Hilfe von KI zu erstellen?
Im Gegenteil. Denn die KI der HR-Abteilungen sind darauf aus, dieses Vorgehen aufzuspüren. Das Resultat ist gegenseitiges KI-Wettrüsten. Dabei geht es doch darum, dass es matcht zwischen den Anforderungen der Arbeitgebenden und den Werten und Skills der Arbeitnehmenden. Das ist auch die Idee unserer neuen Initiative «Work-ID».
Was steckt da dahinter?
«Work-ID» ist eine Art Tinder der Arbeitswelt. Auf der Plattform können Job-Suchende ihre Skills und Werte hinterlegen, ohne sichtbare Angaben von persönlichen Daten wie Namen, Alter oder E-Mail-Adresse. Diese «Work-ID» wird dann mit allen in der Schweiz ausgeschriebenen Stellen ‒ rund 200 000 ‒ diskriminierungsfrei in punkto Werte und Anforderungen abgeglichen.
Aus Sicht der Arbeitnehmenden scheint das vielversprechend. Wie sehen das die Unternehmen?
Da besteht sicher noch Aufklärungsbedarf. Firmen sind interessiert daran, den Bewerbungsprozess so schlank wie möglich zu halten. Für sie haben wir das Tool «Skills-Manager» entwickelt, das wir allen Unternehmen in der Schweiz frei Haus zur Verfügung stellen, um ihre Firmen-Skills aufzulisten. Unsere Hoffnung dabei: Wenn Werte und Skills auf beiden Seiten stimmen, können Arbeitgebende ihre Vorurteile gegenüber Alter, körperlichen Einschränkungen oder Nationalitäten ablegen und es kommt zusammen, was zusammengehört.
Was müssen Arbeitnehmende bei Bewerbungen heute anders machen als noch vor fünf Jahren?
Vermutlich kommt man nicht darum herum, seinen CV mit KI zu tunen, weil die Arbeitgebendenseite auch mit KI arbeitet. Leider. Unsere Vision: Im CV steht, was die Bewerbenden können, was sie gern machen, was sie lernen möchten und was ihnen wichtig ist. Im Gegenzug versprechen die Stellenanzeigen nicht das Blaue vom Himmel punkto Benefits und Lohn. Dann besteht eine gute Chance auf eine langfristige Zusammenarbeit für beide Seiten.
Ist das denn noch gefragt? Projektbezogene Aufträge nehmen gegenüber fixen Arbeitsverhältnissen zu.
In gewissen Bereichen ja. Umso mehr sind Arbeitnehmende heute in der Pflicht, arbeitsmarktfähig, und somit für die Arbeitgebenden relevant zu bleiben. Immer mehr Aufgaben werden digitalisiert. Wer nur diese beherrscht, ist ersetzbar.
Stichwort Weiterbildung kommt hier auf – ein ständiger Wett-
lauf mit der Digitalisierung.
Genau. Bei der «Work-ID» werden wir auf den 120 000 Skills, die gelistet sind, einen Index erstellen. Er zeigt die Wahrscheinlichkeit der Digitalisierung an. Ein Beispiel: Ein Lastwagenfahrer sieht auf dem Index, dass es eine Frage der Zeit ist, bis es den führerlosen Lastwagen gibt. Beim Abgleich seiner weiteren Skills entdeckt er, dass sie mit dem eines Drohnenpilots übereinstimmen. Das kann helfen, mit der entsprechenden Weiterbildung den Anschluss in ein neues Arbeitsfeld zu finden.
Die Unsicherheiten des heutigen Arbeitsmarkts haben auch eine spannende Komponente – man kann sich neu erfinden.
So ist es. Ich bin überzeugt, dass uns die Arbeit in der Schweiz nicht ausgehen wird. Aber wir müssen alle bereit sein, uns auf Neues einzulassen. Es muss nicht immer ein dreijähriger MAS-Lehrgang sein. Manchmal reicht auch ein E-Learning. Wichtig ist: Machen!
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